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Statt der üblichen Beauty-Notizen gibt es an diesem Freitag mal einen anderen Post auf dem Blog: In dieser Woche bin ich nach Brüssel gefahren, um die jährliche Konferenz des europäischen Kosmetikverbandes Cosmetics Europe zu besuchen. Aufmerksam wurde ich auf die Veranstaltung, als ich im April in Brüssel war. Für 2019 hatte ich mir vorgenommen, meinen Horizont stärker zu weiten und zugleich noch tiefer in die Beauty-Branche einzutauchen. So habe ich mich für die Annual Conference der Cosmetics Europe akkreditieren lassen, Anfahrt und Unterkunft habe ich selbst bezahlt. Für mich ist das eine Fortbildung, in die ich investiere – ebenso wie z.B. die Seminare auf der Rohstoffmesse In-Cosmetics. Die Rückfahrt im Zug nutzte ich dazu, diesen Blogpost zu schreiben: Ganz glamourös auf dem Boden sitzend und mit drei Stunden Verspätung. In meinen Instagram Stories habe ich euch ja schon ein bisschen nach Brüssel mitgenommen (habe ich in die Highlights gepackt).
Cosmetics Europe
Cosmetics Europe ist ein europäischer Fachverband der Kosmetikindustrie, der seinen Sitz in Brüssel hat und 1962 gegründet wurde. Zu den Mitgliedern gehören Kosmetikhersteller (z.B. L’Oréal, P&G, Beiersdorf oder Unilever) und nationale Kosmetikverbände wie der Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel e. V. aus Deutschland. Im Mittelpunkt der Arbeit von Cosmetics Europe stehen die Interessensvertretung der Kosmetikindustrie, die Förderung von wissenschaftlichen Forschungen zu Inhaltsstoffen, Projekte im Bereich der Nachhaltigkeit oder aber das Zurverfügungstellen von Informationen für die EU.
Anlässlich der Konferenz wurde auch der neue Report über die europäische Kosmetikindustrie veröffentlicht. Zwei interessante Zahlen daraus habe ich exemplarisch herausgepickt: Die Kosmetikindustrie in Europa bietet über zwei Millionen Menschen einen Job (darunter 28.800 wissenschaftlichen Mitarbeitern). Mit 78,6 Milliarden Euro Umsatz ist der europäische Kosmetikmarkt im Jahr 2018 der größte Kosmetikmarkt der Welt.
Cosmetics Europe Annual Conference 2019
In diesem Jahr stand die jährliche Konferenz der Cosmetics Europe (kurz: CEAC2019) unter dem Motto “New Horizons”. Teilgenommen haben an der Veranstaltung etwa 300 Teilnehmer, die meisten kamen von Kosmetikunternehmen oder internationalen Branchenverbänden. In Vorträgen und Sessions ging es um neueste Branchenentwicklungen; Schwerpunkte waren aktuelle und zukünftige regulatorische und kommunikative Herausforderungen in der Kosmetikindustrie. Auch das Netzwerken kam nicht zu kurz, ich konnte z.B. Mark Smith von Natrue wiedertreffen, der ebenfalls an der CEAC 2019 teilnahm.
Los ging die Konferenz mit einer Übersicht an Themen, die die Regulierung von Kosmetik in der Europäischen Union betreffen. Die europäische Kosmetikverordnung gilt als das strengste gesetzliche Regularium für Kosmetik der Welt und ist deshalb für viele andere Regionen ein Vorbild. Sie wird ständig weiterentwickelt, um die Sicherheit der Konsumenten zu gewährleisten. Salvatore d’Acunto von der Europäischen Kommission berichtete, an welchen Themen man im Bereich Kosmetik gerade arbeitet: Das sind zum Beispiel hormonell aktive Stoffe, allergene Duftstoffe in Parfüms oder potentiell krebserregende Substanzen.
Die Seite der Verbraucher wurde von Monique Goyens vom europäischen Verbraucherverband BEUC vertreten. Sie stellte vehement klar, dass die Sicherheit der Konsumenten für die herstellenden Unternehmen höchste Priorität haben muss. Damit war eine lebendige Diskussion eröffnet – von Unternehmensvertretern und natürlich auch der EU wurde betont, dass alle Entscheidungen stets wissenschaftlich abgesichert sein müssen.
Weiter ging es mit parallel stattfindenden Veranstaltungen: Statt einer Session über Mikroplastik, die sicher auch sehr interessant gewesen wäre, besuchte ich die Veranstaltung über branchenbezogene Kommunikation – denn das ist ja genau mein Thema. Vorgestellt wurden vier Best Practice-Beispiele von internationalen Verbänden, die zeigten, wie man komplexe Themen an ein breiteres Publikum vermitteln kann, um die Kosmetikbranche damit zu einer soliden Wissensquelle für Journalisten und Verbraucher zu machen.
Immer wieder kam während der Konferenz das Thema auf, wie die Kosmetikindustrie das Vertrauen der Öffentlichkeit stärker gewinnen kann. Hierbei wurden viele Fragen aufgeworfen: Wie geht man mit Apps um, die Inhaltsstoffe vereinfachen und ohne differenzierten Blick darstellen? Wie vermittelt man wissenschaftlich komplexe Themen, sowohl an Verbraucher als auch an die Medien? Können Daten, die von der Industrie bereitgestellt werden, für diese Gruppen glaubwürdig sein? Die Lösung kann nur im Dialog von allen Beteiligten liegen: Kunden, Unternehmen und auch der Politik.
Der erste Konferenztag ging für mich mit einer Session rund um aktuelle Konsumentenentwicklungen zu Ende. Im Fokus stand dabei der demografische Wandel, der schon jetzt erhebliche Auswirkungen auf unsere Gesellschaft hat: Ältere Menschen werden bald in der Mehrheit sein. Wie sich das auf die Kosmetikbranche auswirken kann, darüber sprach Stéphane Tuchi von der französischen Marketing-Agentur Ifop. Er plädierte dafür, ältere Zielgruppen positiver als bisher anzusprechen. Bloggerin Anita Willemars aus den Niederlanden setzte sich in ihrer Präsentation dafür ein, dass Frauen über 50 nicht einfach eine einzige homogene Gruppe sind. Beide Sprecher waren sich einig, dass sich die Konsumenten schneller als die Beauty-Industrie verändert haben. Parallel dazu liefen auf der Konferenz Veranstaltungen zu den Auswirkungen der Europawahl auf die Kosmetikbranche oder ein Vortrag über regulatorische Entwicklungen in den USA und Kanada.
Am zweiten Konferenztag besuchte ich eine Session, in der die Arbeit des unabhängigen wissenschaftichen Gremiums für Verbrauchersicherheit der EU-Kommission “Scientific Committee on Consumer Safety” (SCCS) vorgestellt wurde. Mir war gar nicht klar, wie viele Informationen von der EU im Internet zur Verfügung gestellt werden: In Fact Sheets oder so genannten Opinions wird die Sicherheit von Inhaltsstoffen wissenschaftlich erörtert, Beispiele dafür sind Inhaltsstoffe in Haarfarben oder aber Nanomaterialen. In parallelen Sessions ging es um das Mikrobiom der Haut oder um die Auswirkungen des immer stärker globalisierten E-Commerce.
Den fulminanten Abschluss der CEAC 2019 bildete der Vortrag des Greenpeace-Aktivisten Ed Gillespie aus Großbritannien. Er beschrieb die drastischen Auswirkungen der Klimakrise und forderte eine radikale Transformation auch der Beauty-Branche. Spannend fand ich z.B., dass er das dänische Restaurant NOMA in Kopenhagen als ein Vorbild für Unternehmen der Zukunft betrachtet: Dort sind die Reduktion auf das Wesentliche, regionale Zutaten und zugleich entspannte Eleganz die Kriterien für den Erfolg. Ed Gillespie prognostizierte, dass die kommende ‘Generation Less’ bewusster konsumieren wird. Er ist sich sicher, dass Konsumenten ausschließlich zu Unternehmen Vertrauen haben werden, wenn diese transparent arbeiten. In vielen Unternehmen muss hierfür ein grundsätzliches Umdenken in den Unternehmen stattfinden, um auch weiterhin wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Keinesfalls dürfe man alle Verantwortung auf den Konsumenten abwälzen, Firmen müssen hier proaktiv tätig werden. Provokativ stand auf einer Folie seines Vortrags: “What if our pursuit of manufactured beauty is killing real beauty?”
Für mich war die (übrigens hervorragend organisierte) Veranstaltung sehr spannend, denn ich habe wertvolle Einblicke in die – natürlich überwiegend ‘konventionell’ geprägte – Kosmetikbranche und auch in die Arbeit der EU bekommen. Mir ist es ein großes Anliegen, mehr über den Tellerrand der Naturkosmetik und Nischenkosmetik hinauszublicken: Ich bin überzeugt davon, dass man voneinander lernen muss, um Dinge zu bewegen. Beeindruckt hat mich, wie sehr zu spüren war, dass die meisten Teilnehmer gern in der Beauty-Branche arbeiten (so geht es mir ja auch). Vielleicht ist das Thema Kosmetik deswegen so interessant, weil Wissenschaft und Emotionen eng miteinander verknüpft sind – und es damit um ganz grundsätzliche menschliche Themen geht.
Mehr Infos zur Cosmetics Europe und der CEAC 2019 finden sich auf der Homepage des Verbands.