Gastbeitrag Inner Beauty

Gastbeitrag: Vin Naturel – Beauty-Elixier mal anders

Überraschung! Heute gibt es hier auf dem Blog mal einen Gastartikel – ich habe mir von Chez Matze gewünscht, dass er mal was zum Thema “Vin Naturel” hier auf dem Blog schreibt. Denn es gibt einige Parallelen zur Naturkosmetik: “Vin Naturel” macht nicht nur schön 😉 , sondern fordert vom Winzer eine viel stärkere Zusammenarbeit mit der Natur – wie auch bei der Herstellung von Naturkosmetik. Doch lest selbst, was “Vin Naturel” eigentlich ist und weshalb er in Japan auch in der Naturkosmetik-Abteilung verkauft wird: 

Im zweiten Untergeschoss des Nobelkaufhauses Isetan in Tokio residiert die „Beauty Apothecary“. Die ganze Etage besteht aus vielen einzelnen Regalen mit Naturkosmetik und Artverwandtem aus allen Teilen der Welt. Zwischen den Regalen huschen zwei Dutzend ganz in Blau gewandete Verkäuferinnen umher, um zu beraten und den Kundinnen das Gefühl zu geben, willkommen zu sein und umsorgt zu werden. Das ist typisch Japan. In einer Ecke der „Beauty Apothecary“ befindet sich allerdings etwas, das man in dieser Umgebung zunächst nicht vermuten würde: eine Weinbar.

Hier bei Yoshikazu Okada und seinem Team gibt es jeden Nachmittag Wein zu probieren. Darüber hinaus stehen vielleicht 60 Weine in den Vitrinen bereit, um gekauft und mit nach Hause genommen zu werden. Interessanterweise ist dies aber nicht die offizielle Weinabteilung des Isetan, die sich ein Stockwerk höher befindet. Vielmehr findet man Yoshikazus Weinbar auf der Isetan-Website unter der Rubrik „Beauty & Health“ und nicht etwa unter „Food & Drinks“. Warum ist das so? Gibt es hier etwa andere Sachen zu kaufen als in der „normalen“ Weinabteilung? Oder möchte man damit ein anderes Publikum ansprechen?

Tatsächlich beides. In der „Beauty Apothecary“ wird so genannter „Vin Naturel“ angeboten. Und der wird in Japan, einem der weltgrößten Märkte für solche Weine, zu 80% von Frauen gekauft. „Vin Naturel“, da fragen sich doch die geneigten Leserinnen dieses Blogs, ob das nicht eine etwas seltsame Bezeichnung ist. Denn: Ist nicht jeder Wein ein Naturprodukt, das Ergebnis vergorener Trauben?

Naja, nicht so ganz. Wenn man nämlich Trauben im Weinberg zu Boden fallen und gären lässt, dann ist das, was Vögel und Wespen davon übriglassen, nicht etwa Wein, sondern Essig. Ohne dass man den Traubensaft vor schädlichen Einflüssen wie Sauerstoff oder Essigbakterien schützt, kommt kein Getränk dabei heraus, dem wir den Namen „Wein“ geben würden.

Wein trägt also, wie vermutlich jedes verarbeitete Nahrungs- und Genussmittel, immer Elemente der beiden Einflusspole „Natur“ und „Kultur“ in sich. Wer sich den Launen der Natur weniger aussetzen möchte, kann gegen die schädlichen Einflüsse entsprechend vorgehen. Draußen im Weinberg sind solche schädlichen Einflüsse natürlich die Witterung selbst, aber auch Insekten und Rebkrankheiten. Konventionelle Winzer knipsen da zwar nicht den Regen aus, aber viele von ihnen spritzen Herbizide, Insektizide und Fungizide auf die Reben bis hin zu systemischen Breitband-Multifunktions-, tja, Giften. So muss man das wohl sagen. Glyphosat ist beispielsweise ein solches systemisches Blattherbizid (wobei nicht jeder konventionelle Winzer all diese Mittel einsetzt, nur leider kann man dies nirgends ablesen).

Auch im Keller bei der Weinbereitung können konventionelle Winzer auf „Nummer sicher“ gehen. Dafür fügen sie beispielsweise zunächst einmal Schwefel als Konservierungsstoff hinzu. Und lassen die Gärung möglichst schnell starten. Zwar sind in der Regel genügend Hefen auf den Traubenschalen vorhanden, damit dies auch von selbst passiert („Spontangärung“, das Wort habt ihr vielleicht schon einmal gelesen), aber solche natürlichen Hefen sind mitunter nicht nur vielfältige, sondern auch ein wenig eigensinnige Gesellen. Deshalb gibt es „Reinzuchthefen“, die gleich richtig loslegen und den Traubenzucker im Handumdrehen zu Alkohol verarbeiten. Das alkoholische Produkt ist dann weniger anfällig. So genannte „Aromahefen“ helfen auch dabei, den Geschmack in eine bestimmte Richtung zu lenken. Der Wein kann filtriert und geschönt werden, mit Fischblase, mit Bentonit, mit Eiweiß, mit Aktivkohle, er kann unter bestimmten Bedingungen aufgezuckert oder gesäuert werden, er kann mit Pektinase-Enzym versetzt werden, mit Kaliumpyrosulfit, mit Gummi Arabicum wegen des besseren „Mouthfeels“, mit Holzchips wegen des edleren Geschmacks…, mit anderen Worten: Was war da nochmal mit dem „Naturprodukt“?

Aus diesem Grund hat sich vor einigen Jahren eine Art Gegenkultur zur konventionellen Wein“kultur“ entwickelt, die eigentlich gar nicht viel anders arbeitet als ihre Urgroßeltern vor der chemischen Revolution. Und diese Bewegung nennt ihre Produkte dann doch tatsächlich „Naturwein“, „Natural Wine“, „Vin Naturel“ (der gängigste Begriff) oder „Vini Veri“. Diese „Vin Naturel“-Winzer bauen ihre Trauben mindestens bio an, sie schwefeln wenig oder gar nicht, aber vor allem greifen sie nicht zu anderen Tricks, um ihre Weine geschmackskonform und supermarktfähig zu machen. Da werden keine Hefen zugesetzt, keine Enzyme, es wird nicht geschönt und in aller Regel auch nicht filtriert. Das leicht Trübe gehört deshalb bei „Vins Naturels“ mit dazu.

Gustativ können sich solche Weine durchaus von den parfümiert duftenden und leckerfruchtig schmeckenden technischen Produkten, die wir so gewohnt sind, unterscheiden. Pauschalaussagen sind aber kaum möglich. Manche „Naturel“-Weißweine besitzen apfeligere Noten, manche Rotweine mehr (natürliche) Gärkohlensäure, manchmal riechen sie nach dem Öffnen auch etwas streng, aber die Bandbreite ist mittlerweile sehr groß.

Übrigens: Kritiker von „Vins Naturels“ bringen gern als Argument, dass jene „nach Essig“ schmecken würden. Das ist mitnichten so. Logischerweise sind technisch weniger behandelte Weine empfindlicher, aber wenn ein Wein nach Essig schmeckt, dann ist das nicht „normal“, auch nicht für einen „Vin Naturel“, sondern dann ist etwas schief gegangen – sei es bei der Produktion oder beim Transport oder bei der Lagerung. Solche „Naturweine“ kauft man also am besten direkt beim Winzer oder in der (meist spezialisierten) Weinhandlung eures Vertrauens. Im Bio-Supermarkt sind solche Weine bisher nicht erhältlich. In Paris, wo diese Bewegung ihren Anfang genommen hatte, gibt es mittlerweile mehrere Dutzend Weinbars und Restaurants, in denen man „Vin Naturel“ bekommen kann. Aber andere Teile der Welt ziehen peu à peu nach.

Und da sind wir endlich beim Praxisteil angekommen. Ich möchte euch hier beispielhaft einen solchen „Vin Naturel“ vorstellen, und zwar einen Roten aus Südfrankreich. „Clos Fantine“ heißt das Weingut aus dem Languedoc, gelegen an der Grenze zu den Bergen der Cevennen. Die Geschwister Andrieu, nämlich Carole, Olivier und Corinne, teilen sich die Arbeit auf dem bio-zertifizierten Weingut, auch wenn alle drei ein bestimmtes Spezialgebiet haben. Ihre Weine sind echte „Naturels“, also tatsächlich umsichtig vergorener und in Betontanks (geschmacklich ohne Holzeinfluss) ausgebauter Traubensaft. Anders als die meisten anderen Winzer der Gegend haben die Andrieus ihre alten Reben nicht herausgerissen. Mit Cinsault und Aramon kommen zwei dieser altmodischen Rebsorten in die Cuvée „La Lanterne Rouge“. Auf dem Etikett sieht man eine Frau in langem Kleid, die stolz eine leuchtende, rote Weinflaschen-Laterne vor sich herträgt. Auf Deutsch könnte man den Weinnamen auch als „das Schlusslicht“ übersetzen, der letzte Wein im großen Feld, auf den die Andrieus trotzdem (oder vielleicht auch gerade deshalb) so viel Wert legen.

Dunkel fließt der Wein ins Glas. In der Nase vernehme ich schon ein paar leicht stinkelige Töne, dazu rote Beeren, etwas Unterholz-Strauchiges, Dornenbehaftetes, aber nichts Breites oder Süßes. Kein Wunder, der Wein hat auch nur 12 vol% Alkohol, das ist sehr leicht für einen Südroten. Im Glas prickelt die Laterne noch ein wenig, das ist die natürliche Gärkohlensäure. Ganz deutlich spüre ich beim ersten Schluck schon die Tannine, die Gerbstoffe aus den Traubenschalen. Mir gefallen solche Tannine, weil ich weiß, dass sie einerseits den Wein haltbarer und stabiler machen und andererseits vielleicht auch mich selbst als Konsumenten (es handelt sich ja um Polyphenole, die man auch aus der Naturkosmetik als Antioxidantien kennt). Solo sollte man einen solchen Wein vielleicht nicht trinken, aber er ist ja auch speziell als Speisenbegleiter gedacht. Bei uns gibt es dazu gefüllte Tomaten aus dem Ofen, das passt sehr gut, aber alles, was mit dunklerem Fleisch oder südlichem Gemüse wie Auberginen, Tomaten, Zucchini, Olivenöl und Kräutern der Provence zu tun hat, würde ebenso funktionieren.

Vielleicht probiert ihr ja auch einmal einen solchen „Naturwein“ oder „Vin Naturel“ aus, sei es wegen des besseren Gefühls oder einfach aus Neugier. Und solltet ihr dann Gefallen daran gefunden haben, gebt uns bitte eine gewisse Mitschuld 😉 .

Die „Lanterne Rouge“ vom Clos Fantine kostet 10 Euro in der Vincaillerie, entweder direkt vor Ort in Köln oder im Online-Shop, wo ich den Wein erstanden habe. Die Inhaberin Surk-ki Schrade hat sich in ihrem Laden auf Vin Naturel spezialisiert.

Ich hoffe, ihr hattet Spaß an diesem Gastbeitrag, in dem es mal um ein Beauty-Elixier der anderen Art ging!

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